P-Aktuell 02.2017

Genetische und zellbiologische Grundlagen des M. Parkinson & Dystonien: Phänotyp trifft Genotyp / Genotyp trifft Phänotyp

Einleitung

Genetische und zellbiologische Grundlagen des Morbus Parkinson

Obgleich Morbus Parkinson keine genetische Erkrankung im engeren Sinne ist, spielen dennoch erbliche Faktoren bei der Entstehung der Krankheit eine große Rolle. Seit vielen Jahrzehnten, ist bekannt, dass Morbus Parkinson in Familien gehäuft vorkommen kann. Diese Erkenntnis hat die Vermutung bestärkt, dass zumindest in diesen Fällen auch genetische Mutationen für die Erkrankung verantwortlich sein können.

Jedoch,  erst mit der Entwicklung von neuen bahnbrechenden genetischen  Methoden in den 1990er Jahren konnte man sich an die Identifizierung der verantwortlichen Gene wagen. Die dafür notwendigen Technologien, wie z.B. die der genetischen Kartierung oder der Kopplungsanalysen  waren gerade erst den Kinderschuhen entwachsen  und im Vergleich zu den heute verwendeten Techniken sehr labor-und personal-intensiv,  sodas die Chancen für eine erfolgreiche Gen-Suche nur in großen Familien mit vielen betroffenen Familienmitgliedern gegeben war.

Dystonien: Phänotyp trifft Genotyp Genotyp trifft Phänotyp

Dystonien sind eine heterogene Gruppe von Bewegungsstörungen, die sich mit unwillkürlichen hyperkinetischen Bewegungen eines oder mehrerer Körperteile präsentieren. Bislang fehlen ausreichende Daten zur Epidemiologie von Dystonien. Schätzungen gehen von einer Mindestprävalenz von 40/100.000 aus.
 
Die Klassifikation von Dystonien erfolgt nach ätiologischen und phänomenologischen Kriterien. Klinisch ist eine Dystonie definiert als repetitive, manchmal tremulöse, Muskelkontraktion, die durch eine Ko-Kontraktion agonistischer und antagonistischer quergestreifter Muskeln zustande kommt, und zu abnormen Haltungen oder bizarren Bewegungen führt. Eine Dystonie kann durch Bewegungen ausgelöst werden, sich nur auf bestimmte Bewegungen beschränken (Schreibdystonie) oder durch Bewegung verstärkt werden. Der Begriff Dystonie steht demnach synonym für eine eigenständige Krankheitsentität (z.B. idiopathische Torsionsdystonie), ein klinisches Syndrom (z. B. im Rahmen anderer Grunderkrankungen, symptomatische Dystonien) oder ein Symptom (z.B. „off“ period Dystonie bei M. Parkinson).
 
Konsensus Guidelines der „International Parkinson and Movement Disorder Society“ (MDS) Task Force zur Phänomenologie und Klassifikation entwickelten 2013 folgenden Ansatz zur klinischen Einordnung von Dystonien in Axis I (klinisches Syndrom) unter assoziierte klinische Zeichen:

  • Isolierte oder kombinierte dystone Symptome
  • Isolierte Dystonie (Dystonie als einziges motorisches Symptom, Ausnahme Tremor)  
  • Dystonie kombiniert mit anderen Bewegungsstörungen anderen neurologischen Manifestationen
  • Liste anderer neurologischer oder systemischer Manifestationen
Daneben wurden Algorithmen zur klinischen Einordnung verschiedenster dystoner Symptome entwickelt um deren Zuordnung zu Dystonie-Syndromen zu erleichtern. Die Ätiologie der Dystonie-Syndrome blieb allen Anstrengungen zum Trotz in der überwiegenden Zahl der Dystonie Patienten deskriptiv (idiopathische Dystonie, Axis II).
Zuletzt führten Fortschritte in der genetischen Diagnostik zu einer massiven Erweiterung des Spektrums an Dystonien mit gesicherter Genetik. Allein in den letzten 9 Monaten wurden mehr als 25 Dystonie-assoziierte Gen-Loci in die OMIM Datenbank eingeführt. Dies entspricht einer Steigerung von mehr als 10%.
 
Um dieser rasanten Entwicklung in der Neurogenetik Rechnung zu tragen wurde 2016 ein Vorschlag für eine neue Nomenklatur genetisch bedingter Dystonien erarbeitet. Bisher waren die genetisch bedingten Dystonien mit numerischen DYT Designationen versehen (DYT1–DYT28). Aber, manche dieser Zuordnungen konnten nicht bestätigt werden, bei anderen fehlt die Zuordnung des ursächlichen Gens, und wieder andere wurden irrtümlich zugeordnet.
 
Daher wurde 2016 von der Task Force „Nomenklatur von Genetischen Bewegungsstörungen“ unter der Leitung von Christine Klein ein Vorschlag zur Einteilung/Nomenklatur von  Bewegungsstörungen mit genetischem Hintergrund erarbeitet. Bezüglich der Dystonien folgt dieser den Ansatz der Guidelines der MDS Taskforce zur Phänomenologie und Klassifikation weitestgehend und definiert:

  • Dystonien (mit genetischem Hintergrund) - isolierte Dystonien
  • Dystonien mit genetischem Hintergrund und führender Dystonie kombiniert mit anderen Bewegungsstörungen – kombinierte Dystonien
  • Dystonie  mit genetischem Hintergrund kombiniert mit anderen neurologischen Symptomen abseits der Bewegungsstörungen ODER/UND komplexe Phänotypen, die sich auch mit einer Dystonie manifestieren können, normalerweise aber andere Phänotypen haben -  komplexe Dystonien
Angesichts der sich ausweitenden Möglichkeiten (Next generation sequencing, NGS) wurden Guidelines zur Interpretation und zu Limitationen von NGS Befunden veröffentlicht. Insbesondere wurde der Umgang mit Zufallsbefunden, von Varianten unklarer Signifikanz, sich verändernder Interpretation von Varianten und deren Einordnung (Re-Analyse), Verfehlen von Mutationen in Regionen mit  „low depth of coverage“, oder Mutationen, die derzeit nicht gut detektiert werden können oder nicht detektierbar sind (copy number variants, lange Insertionen/Deletionen, strukturelle Varianten, Aneuploidie) wo immer möglich mit Problemlösungsstrategien hinterlegt. Auch die Designation einer pathogenen Mutation wurde in den ACMG-AMP „Pathogenicity Classification Guidelines“ strukturiert (Richards et al., 2016). Dabei werden NGS Daten mit (1) populations-basierten Datenbanken abgeglichen, sogenannte (2) in-silicio prädiktive Analysen durchgeführt, (3) funktionelle Daten über die Mutation erhoben, (4) die Segregation untersucht bzw. als (5) de-novo Mutation eingestuft, (6) allelische Daten abgeglichen, sowie etwaige (7) weitere Datenbanken und andere Quellen zur Einschätzung der Pathogenität einer Mutation herangezogen. Unter Zuhilfenahme aller verfügbaren Informationen wird die Mutation dann in einem Evidenzschema als benigne oder pathogen eingestuft.

 

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